Projekt: Deine Geschichte
Ich bin im Zürcher Oberland, in Esslingen, alleine mit meiner Mutter aufgewachsen und hatte keinen persönlichen Bezug zu meinem Vater, da dieser als ich klein war, mich und meine Mutter verlassen hatte.
In der ersten Klasse hatte ich Mühe beim lernen und vergass vieles gleich wieder.
Auch das konzentrieren viel mir ziemlich schwer. Nach einer Abklärung wurde bei mir ADS diagnostiziert.
Ich bekam viel Unterstützung von den Lehrern, jedoch wurde es immer schwieriger und problematischer.
Meine Mutter hatte in dieser Zeit einen Mann kennengelernt, welcher ich ein, zwei mal gesehen habe, als wir dann recht schnell mit ihm zusammen von Esslingen nach Buchs gezogen sind.
So kam ich in eine Patchworkfamilie, welche zusätzlich einen Bruder und eine Schwester mit sich brachte.
Durch den Umzug kam ich in eine neue Schule, mit neuen Lehrern und lernte neue Freunde kennen.
Das war allerdings nicht einfach für mich. Ich hatte viel Mühe, sowie auch Heimweh. Ich konnte jedoch nicht richtig identifizieren, was es genau mit dem Heimweh auf sich hatte.
Meine Mutter war viel am arbeiten.
Als ich in die Pubertät kam, begann eine „Ausprobier-Phase“. Halt alles was man so als Teenie macht; Alkohol probieren, nicht immer pünktlich nach Hause gehen, nicht immer gehorsam sein, ect.
In dieser Zeit hatte ich die ersten zwei grosse Lieben; mir wurde jedoch auch zweimal das Herz gebrochen.
Es war sehr schwierig für mich, da ich ein sehr sensibler Mensch bin, vermutlich auch durch mein ADS.
Ich habe diese Dinge einfach viel zu sehr an mich ran gelassen.
Ich begann eine Ausbildung als Coiffeuse. Irgendwann kam ich mit allem nicht mehr klar, auch was die Familie ect. betrifft.
Innerlich ging es mir sehr schlecht und habe es nie gegen Aussen hin gezeigt. Aussenstehende dachten, es wäre alles in Ordnung bei mir.
Doch das war es eben nicht.
Irgendwann entschloss ich mich, nicht mehr weiter Leben zu wollen… Alles war zu viel, der Lärm im Kopf viel zu laut und hielt meine inneren Emotionen einfach nicht mehr aus.
Ich wollte einfach endlich Ruhe.
Als meine Eltern am Abend nicht zu Hause waren, durchsuchte ich den Spiegelschrank im Bad nach Medikamenten. Darin fand ich eine Packung Panadol und eine Packung Ritalin, welche ich als Kind durch mein ADS nehmen musste.
Alles eingenommen mit einem Glas Wasser legte ich mich ins Bett und wurde immer müder. Plötzlich verspürte ich innerlich eine tiefe Angst…
Gedanken kreisten sich in meinem Kopf: Ist es richtig was ich mache? Was kommt als nächstes?
Ich war sehr traurig und musste weinen. Plötzlich kam es mir vor, als würde jemand neben mir auf dem Bett sitzen und meine Hand halten. Ich wurde immer ruhiger und schlief ein…
Irgendwann wachte ich wieder auf und eine riesige Panik kam in mir hoch…
Ich wollte das alles nicht mehr, ich wollte Leben!
Ich stand auf, rannte aus dem Schlafzimmer; zur gleichen Zeit kamen meine Eltern nach Hause und ich brach auf der Treppe vor ihnen zusammen. Nur noch ganz leise hörte ich meine Mutter nach mir rufen und hörte sie fragen, was mit mir los sei… Dann wurde alles schwarz…
Auf dem Weg ins Spital mit dem Krankenwagen wurde abgeklärt, ob die Ärzte mir den Magen auspumpen müssten… da ich jedoch alles erbrach, war dies nicht mehr von Nöten.
Daraufhin lag ich drei Tage lang auf der Intensiv-Station. Ich hatte viel Glück, weil ich gemäss Aussage der Ärzten an einem Nierenversagen hätte sterben können.
Auf die drei Tage Intensiv-Station folgte der FFE ( Fürsorglicher Freiheitsentzug ) und wurde in eine Klinik eingewiesen, in welcher ich mich für eine Woche zur Beobachtung aufhalten musste.
In dieser Woche setzte ich mich intensiv mit mir selbst auseinander.
Ich bin nicht religiös aufgewachsen, kriegte jedoch einen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf; als ich im Bett lag und es mir vorkam, als würde jemand auf dem Bett neben mir sitzen und die Hand halten… Was war das?
Nach dem FFE folgten Therapien, in denen es Familienaufstellungen und Selbstreflexionen gab. Auch was es mit meinen Männergeschichten auf sich hatte, wurde dort verarbeitet.
Meine Mutter weiss, dass auch sie Fehler in meiner Erziehung gemacht hatte. Sie hat jedoch immer ihr bestes gegeben und würde vieles anders machen, wenn sie könnte.
Heute arbeite ich in der Pflege in einem Altersheim und beginne nächstes Jahr eine Zweitausbildung als FAGE.
Ich besuche einmal die Woche die Kirche, denn so habe ich wieder Halt und meinen Lebensweg gefunden.
Anm. des Fotografen: Dieses Projekt startete ich im Juni 2018. Die freiwiligen Teilnehmer werden in mein Fotostudio eingeladen und erzählen ihre Lebensgeschichte. Anschliessend folgt ein Fotoshooting, in dem ich versuche, die Geschichte bildlich zu untermalen.
Es steht jedem Teilnehmer frei, was er aus seinem Leben erzählen möchte.
Aus Respekt und Datenschutzgründen werden die Teilnehmer in der Regel nicht namentlich erwähnt, ausser sie möchten es explizit.
Falls du auch Interesse an diesem tollen Projekt hast und gerne einen Teil davon werden möchtest, dann sende mir per E-Mail eine Kurzfassung von deiner Lebensgeschichte an info@br-photography.ch
Berger Roger
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